28.01.2022 - Atomkraft/Widerstand im EU-Parlament gegen Taxonomie wächst

BRÜSSEL/ESCHBORN -- Die Europäische Kommission will die umstrittene Taxonomie voraussichtlich am kommenden Mittwoch vorschlagen. Dabei geht es um die Klassifizierung von Atomenergie und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftstätigung - eine Art Ökosiegel für Investitionen im Finanzbereich. Neben den EU-Staaten Deutschland, Österreich und Luxemburg laufen inzwischen auch Europaabgeordnete Sturm gegen die Pläne der Kommission. Nach Einschätzung des Grünen-Abgeordnete Michael Bloss kann das EU-Parlament eine Mehrheit von 353 Stimmen gegen die Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Investition erreichen, um den Gesetzesvorschlag der Kommission kippen.



Der EU-Abgeordnete Bloss sieht im Parlament derzeit 256 sichere Stimmen von S&D (Sozialdemokraten, Sozialisten), Grünen und Linken gegen die Taxonomiepläne. Die größte Fraktion der EVP mit 177 Abgeordneten drohe sich aber aktuell zu spalten. So lehnten beispielsweise der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese und die Co-Verhandlungsführerin zur Taxonomie Sirpa Pietikaine das Gesetz ab. In den vergangenen Tagen hat sich das Europäische Parlament (EP) in drei unterschiedlichen Briefen an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem Appell gewandt, die Taxonomie für Atomkraft zurückzuziehen.



Der CDU-Abgeordnete Liese erklärte am vergangenen Montag, vielleicht sei es das Beste, "diesen delegierten Rechtsakt zur Taxonomie einzustampfen." Im EU-Parlament wachse fraktionsübergreifend die Ablehnung dazu. "Aus meiner Sicht sind insbesondere die Regeln für Kernenergie inakzeptabel", sagte der umweltpolitische Sprecher der Europa-CDU. Der Kommissionsvorschlag sehe vor, dass Baurecht für neue Kernkraftwerke (herkömmliche Bauart) erst 2045 gegeben und die Entsorgung erst 2050 geregelt sein muss, kritisierte Liese. "Die Vorschläge kann ich nicht unterstützen", so Liese.



Sobald die Kommission die Taxonomie vorgelegt hat, geht das Dossier in die Ausschüsse für Wirtschaft und Finanzen sowie den Umweltausschuss. Bloss rechnet mit einer Abstimmung im EU-Parlament im März oder April. Unterdessen dürfte es im EU-Rat unter den Mitgliedstaaten keine Mehrheit für eine Ablehnung der Taxonomie geben. Einzig die von Österreich und Luxemburg angekündigte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof könnte zu einem Erfolg der Taxonomie-Gegner führen.



Denn laut dem Rechtsexperten Götz Reichert vom Centrum für Europäische Politik (CEP) überschreitet der Rechtsakt der Taxonomie die Kompetenz der EU-Kommission. Diese sei nicht berechtigt, über die Einstufung von Atomkraft oder Erdgas in einem delegierten Rechtsakt zu entscheiden, schreibt Reichert in einem Gutachten. Daher sieht das CEP gute Erfolgschancen eventueller Klagen gegen das Vorhaben. "Europarechtlich darf die Kommission nicht über die Nachhaltigkeit von Atomenergie und Erdgas entscheiden", sagte Reichert.



Doch die Europäische Kommission will es offenbar darauf ankommen lassen. So verteidigte Präsidentin von der Leyen zuletzt die Atomenergie als nachhaltige Investition. Und die für den Finanzmarkt verantwortliche EU-Kommissarin Mairead McGuinness schloss am vergangenen Mittwoch eine grundlegende Überarbeitung des Vorschlags zur Einstufung von Atomkraft und Gas als nachhaltige Energiequelle aus. "Wir können den Vorschlag vielleicht an der einen oder anderen Stelle nachbessern und so einige Einwände aufgreifen", sagte die Irin im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Aber wir haben tatsächlich nur begrenzten Spielraum", führte sie aus.



Zuvor hatte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) bei einem Antrittsbesuch in Brüssel nochmals die Ablehnung Deutschlands der geplanten Taxonomie-Verordnung vorgetragen. "Unsere Hoffnung ist es, dass Nuklear herausgenommen wird", sagte Habeck nach Gesprächen mit der Kommissionspräsidentin. Die Kommission hatte am 31. Dezember 2021 den Entwurf für einen delegierten Rechtsakt zur EU-Klimataxonomie vorgelegt, nach dem sie Atomenergie und Erdgas als "ökologisch nachhaltig" einstufen will.

Ali Uluçay

MBI/aul/28.1.2022

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