02.02.2023 - Skandal um Kompensationen aus REDD+ Projekten "Nur die Spitze des Eisbergs"

Haben sich Unternehmen über Jahre mit Zertifikaten freigekauft, die viel weniger CO2 einsparen als versprochen? Recherchen der Zeitungen The Guardian und Die Zeit und eines britischen Recherchepools haben aufgedeckt, dass der weltweit führende Zertifizierer von CO2-Kompensationen für Waldaufforstungsprojekte (REDD+), das US-Unternehmen Verra, in vielen Fällen eine überhöhte Anzahl von Minderungszertifikaten zertifiziert hat. Etwa ein Drittel aller weltweit zertifizierten Credits entfällt auf die REDD+-Methodologie. Verra erhält für jeden zertifizierten Credit 0,10 US-Dollar. Seit Bekanntwerden des Betrugs ist der Preis für REDD+ Credits um 70 Prozent gefallen, Tendenz weiter sinkend. Verra ist ein Schwergewicht im freiwilligen CO2-Markt. 75 Prozent aller Emissionen werden unter Aufsicht des US-Unternehmens eingespart. Der Markt ist 2 Milliarden US-Dollar wert und hat in den Augen des Unternehmensberatung McKinsey das Potenzial, bis 2030 auf mehr als 50 Milliarden US-Dollar zu wachsen.Der ständige Zulauf kommt von Unternehmen, die ihre Emissionen ausgleichen wollen oder dies von Gesetzes wegen tun müssen. "Alle Dax- und Mdax-Unternehmen beispielsweise müssen Nachhaltigkeitsberichte machen. Alle interessieren sich dafür, CO2-neutral zu sein. Das wird auch von Zulieferern verlangt, die sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen", sagt Raik Heinzelmann, CEO der Advantag AG. Das börsennotierte Unternehmen handelt mit Compliance Kunden aus dem Europäischen Emissionshandelssystem und dem nationalen Emissionshandel (nEHS) und mit Unternehmen, die klimaneutral werden wollen oder müssen."Wir haben von Anfang an die Hände von REDD+ Projekten gelassen. Sie sind günstig und es gibt eine schier erdrückende Masse an Krediten. Da liegt Greenwashing nahe", verrät Heinzelmann. Allein beim Zertifizierer Natural Forest Standard sind 10 Millionen Credits im Angebot.Der Skandal verbilligt die ohnehin günstigen Nichtabholzungsprojektzertifikate zusätzlich. Während im August 2022 für einen REDD+ Credit 9,56 US-Dollar zu zahlen waren, kosten die Credits aktuell nur noch um die 2,39 US-Dollar. "In der Woche, als der Skandal ruchbar wurde, verloren sie von 2,91 auf 2,39 US-Dollar", beobachtet Heinzelmann den Preisverfall, der bei den Endkunden aber noch nicht angekommen sei. Zum Vergleich: ein von The Gold Standard verifiziertes Minderungszertifikat aus einem Projekt zur Wiederaufforstung kostet Heinzelmann44 Euro im Einkauf. Ein deutsches Moorschutzprojekt schlägt gar mit 60 Euro zu Buche. Trotzdem sind die Credits im Vergleich zum aktuellen Preis für EU-Emissionsberechtigungen von knapp 90 Euro immer noch günstig. "Die REDD-Credits sind jetzt nahezu unverkäuflich."Skandal hilft dem Markt bei der GesundungDa ist Bernadett Papp von Pact Capital anderer Meinung. Die Analystin beobachtet für ihren Arbeitgeber staatliche wie freiwillige CO2-Märkte. Das Schweizer Unternehmen mit Sitz in Genf managt auch eigene Minderungsprojekte, klammert dabei aber die in Verruf geratene Methodologie aus. "Die skandalbehafteten Credits werden noch immer angeboten und verkauft, weil es noch immer Unternehmen gibt, die ihre CO2-Emissionen ohne Rücksicht auf etwaige Verluste auf die billigste Weise neutralisieren wollen", stellt sie bedauernd fest."Der jetzt aufgedeckte Skandal ist für mich deshalb nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt schon die ganze Zeit Zweifel an der Zusätzlichkeit der REDD+ Credits. Wie soll man zusätzlichen Nutzen erzielen, wenn man quasi gar nichts tut?", sagt sie. Sie zieht eine "faire Kommunikation von Verra in Zweifel". Der Markt reagiert nach ihren Aussagen auch schon seit einiger Zeit auf die zweifelhafte Methodologie, das Kaufinteresse lässt nach. "Wer den freiwilligen Markt näher verfolgt, hatte bereits Zweifel an REDD+", stellt die Marktexpertin fest.Sie findet aber auch einen positiven Aspekt an dem Skandal. "Für Projektmanager anderer Methodologien kann das Geschehen gut sein." Wenn die fraglichen Credits aus dem Markt gedrängt oder gar verbannt würden, könnten jene Projekte, die sich der Zusätzlichkeit verpflichtet fühlen, davon profitieren. Es käme mehr Vertrauen in den Markt. Auch für die Käufer sei die ganze Aufregung letztlich gut, weil die Gefahr sinke, billige Credits ohne wirklichen Wert angedreht zu bekommen.Silvia Rausch-BeckerMBI/sir/2.2.2023    

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