28.06.2022 - Energiewirtschaft nutzt Künstliche Intelligenz noch zu selten

Künstliche Intelligenz (KI) ist auch in der Energiewirtschaft kein junges Technologiethema mehr. Der Computerwissenschaftler John McCarthy wählte den Namen 1955 unter der Prämisse, dass jeder Aspekt des Lernens im Prinzip so genau beschrieben werden kann, dass eine Maschine ihn simulieren kann. Nach all dieser Zeit ist die Zahl der Unternehmen, die tatsächlich erfolgreich in Breite KI anwenden, weltweit und über alle Branchen hinweg aber noch immer verhältnismäßig gering: ca. 12 Prozent Unternehmen, die heute bereits breiten und signifikanten Nutzen aus KI ziehen, hat das Beratungsunternehmen Accenture bei einer weltweiten Umfrage (https://t1p.de/41mwq) ausgemacht, darunter waren auch Unternehmen der Energiewirtschaft. Der Wert soll sich bis 2024 auf 27 Prozent mehr als verdoppeln."Für die heimische Landschaft dürften die 12 Prozent noch zu hoch gegriffen sein", meint Tobias Gehlhaar. Der Geschäftsführer Grundstoffindustrien, Energie und Versorgungswirtschaft bei Accenture in der DACH-Region, sprach mit MBI-Energy 4.0 über den Status-quo bei künstlicher Intelligenz in der Energiewirtschaft. Die Unternehmen aus der Energiebranche liegen nach seiner Einschätzung beim Einsatz von KI im Durchschnitt. Accenture hat zur Beurteilung der Lage einen Index erschaffen und für die Umfrage eingesetzt. Der KI-Reifegrad bezeichnet das Maß, in dem Unternehmen ihre Wettbewerber mithilfe einer Kombination grundlegender und differenzierender Fähigkeiten mit KI-Bezug übertreffen. Die Skala reicht von 0 bis 100. Laut Auswertung liegt der durchschnittliche Reifegrad der Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, weltweit bei 36.Die Unternehmen, die KI bereits breit und in großem Umfang nutzen, kommen auf einen Reifegrad von 64 - und ihr Umsatzwachstum ist um 50 Prozent größer als das der Wettbewerber. In der Analyse wird außerdem deutlich, dass die meisten Unternehmen (63 Prozent) "AI Experimenters" sind, die mit einem KI-Reifegrad von 29 kaum an der Oberfläche des KI-Potenzials kratzen. "AI Innovators" (13 Prozent) mit einem Wert von 50 und "AI Builders" (12 Prozent) mit einem Wert von 44 sind in ihrem KI-Reifegrad etwas weiter fortgeschritten, nutzen das Potenzial von KI aber auch noch nicht aus.Technologieunternehmen haben mit einem Wert von 54 bereits einen hohen KI-Reifegrad, der bis 2024 moderat auf 60 steigen soll. Damit stehen sie im Branchenvergleich an der Spitze des KI-Reifegrads. Für die Studie wurden finanzielle und nicht-finanzielle Daten von 1.176 Unternehmen, die KI einsetzen, sowie Umfragedaten von 1.615 Führungskräften in 16 Branchen und 15 Ländern verwendet. Die Daten flossen in Modelle des maschinellen Lernens ein. Für die meisten Unternehmen ergeben sich erhebliche Möglichkeiten, durch den gezielten Einsatz von KI größeren Mehrwert zu erschaffen. Dabei sei es wichtig, wo das Thema im Unternehmen aufgehängt wird, ob es Unterstützer findet und ob ausreichend investiert wird. "Man muss sich auch ganz ehrlich machen, wenn es um das Personal geht, sich fragen, wie viel man mit der bestehenden Mannschaft bei der Einführung von KI selbst stemmen kann. Sonst gilt: In Talente muss investiert werden", sagt Gehlhaar. Nach seiner Erfahrung ist vor allem das Thema Personal ein Flaschenhals. "Alle kämpfen um die gleichen Skills, es ist extrem schwierig, kritische Masse zusammenzubekommen. Das ist Fachkräftemangel hoch zwei!", warnt er. Geld in die Hand genommen werden muss seiner Ansicht nach auch bei der breiten Schulung der Belegschaft. Und vor allem das Aufräumen und Aufbereiten der Daten verschlinge Zeit und Geld. "Wer das Thema ernst nimmt, Ressourcen allokiert und Personal eingesetzt hat, der macht den Unterschied", erläutert der Accenture-Partner.Er räumt mit dem Irrtum auf, KI lasse sich schnell aufsetzen. "Da gibt es keinen Schalter, mit dem ich KI-Fähigkeiten an- oder ausschalten kann. Das Lernen mit KI durchläuft eine organisatorische Lernkurve, die mindestens zwei bis drei Jahre dauert", stellt er klar. "Künstliche Intelligenz erfordert viel Mut, Investmentkapazitäten und den langfristigen Willen, sich das Thema zu erschließen. Unternehmen tendieren jedoch nach unserer Erfahrung zum Dringenden und nicht zum Wichtigen." Laut Umfrage gibt es weltweit 7 Prozent an Unternehmen, die in einer Pilotphase stecken. Die meisten dürften über diesen Punkt kurzfristig auch nicht hinwegkommen, schätzt der Unternehmensberater.Wer den Lernprozess aber erfolgreich durchlaufen hat, kann mit Unterstützung der Algorithmen viel bewirken. Energieunternehmen mit Kundenkontakt können mit ihrer Hilfe eingehende Post auf die Stimmungslage überprüfen: Sentiment Analyse hilft bei der Einschätzung der Stimmung des Absenders. Herrscht ein ärgerlicher Grundton vor, kann beispielsweise automatisch eine beschwichtigende Antwort formuliert oder ein Telefonanruf angestoßen werden. Die Kosten für die Belieferung des Kunden (Cost to Serve) lassen sich senken und der Verkaufsprozesse lässt sich verbessern. KI hilft auch bei der Frage, welcher Verkaufskanal für welches Produkt überhaupt bespielt werden soll.Im Verteilnetz lassen sich mit lernenden Algorithmen Zustände bewerten, die Netznutzung und die langfristige Auslastung planen. Predictive Maintenance, Zustandsbewertung, Perimeteranalyse und Absicherung von Werken sind möglich."KI ist vor allem für Unternehmen mit der richtigen Personaldecke eine Chance, einen großen Schritt in der Differenzierung zu machen", sagt Gehlhaar.Wer nicht aktiv in KI investieren will, kann die schnellen Algorithmen auch passiv nutzen: in vielen Softwareprodukten ist KI mittlerweile bereits enthalten.Silvia Rausch-Becker  

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